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KI-Integration im Mittelstand: Verstehen, Gestalten, Partizipieren – Ein Interview mit Prof. Dr. Sabine Pfeiffer

Im Gespräch mit Prof. Dr. Sabine Pfeiffer erkunden wir, wie Künstliche Intelligenz (KI) die Arbeitswelt in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) transformiert. Entdecken Sie ihre Einsichten darüber, wie KI die Arbeitsplätze prägt und welche Rolle die Mitarbeitendenbeteiligung bei der Gestaltung dieser technologischen Veränderungen spielt.
"KI-Integration im Mittelstand: Verstehen, Gestalten, Partizipieren“ – Ein Interview mit Prof. Dr. Sabine Pfeiffer

Die Integration von Künstlicher Intelligenz in den Arbeitsalltag kleiner und mittlerer Unternehmen stellt sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance dar. In einer umfassenden Untersuchung, geleitet von Prof. Dr. Sabine Pfeiffer, einer führenden Expertin im Bereich Technik, Arbeit und Gesellschaft am Nuremberg Campus of Technology, werden die vielschichtigen Auswirkungen der Digitalisierung und Industrie 4.0 auf KMU beleuchtet.

In unserem exklusiven Interview mit Prof. Dr. Pfeiffer gewinnen wir wertvolle Einblicke in die dynamische Beziehung zwischen Mitarbeiter:innen und KI-Technologien im Arbeitskontext. Sie stellt fest: „Um KI am Arbeitsplatz erfolgreich zu integrieren, müssen wir zunächst die Arbeitssituation der Beschäftigten wirklich verstehen.“ Pfeiffer hebt hervor, dass die effektive Anwendung von KI in KMU eine tiefgreifende Kenntnis der verschiedenen Mitarbeiterperspektiven erfordert und unterstreicht die Bedeutung der Partizipation bei der Gestaltung der KI-gestützten Arbeitswelt.

Frau Professor Pfeiffer, in Ihrer Studie „KI als Kollegin“ haben Sie verschiedene Einstellungstypen gegenüber KI am Arbeitsplatz identifiziert. Wie können KMU diese Erkenntnisse nutzen, um den Einsatz von KI in ihrem Betrieb besser zu gestalten?

Wir haben mit einer etwas anderen Art der Erhebung und einer tiefergehenden Auswertung tatsächlich vier Typen von Beschäftigten gefunden, die sich in ihren Ansichten zu KI am Arbeitsplatz sehr unterscheiden: Die Störungsjonglierenden, die Arbeitsfokussierten, die Verantwortungtragenden und die Entlastungsuchenden. Die Namen zeigen schon: wie Beschäftigte ihre Arbeit erleben prägt sehr ihre Ansprüche von KI.

„Will man KI am Arbeitsplatz gut gestalten, heißt das erstmal die Arbeitssituation der Beschäftigten wirklich verstehen. Das geht am besten mit frühzeitiger Partizipation.“

Nur zwei Beispiele: die Entlastungssuchenden fühlen sich eben sehr gestresst, ihnen ist es besonders wichtig vieles (und auch unterschiedliches) an die KI abgeben zu können. Für diese Entlastung geben sie auch gerne Entscheidungshoheit auf, „explainability“ wollen sie eher nicht – denn das kostet Zeit und belastet wieder. So die Vorstellung. Die Verantwortungtragenden dagegen haben das Gefühl, sowieso immer für alles grade stehen zu müssen. Daher wollen sie verstehen, wie die KI funktioniert, ihnen ist besonders wichtig, dass man sich auf sie verlassen kann und sie wollen Entscheidungshoheit und Verantwortung nicht abgeben. Diese Typen sind statistisch signifikanter als Geschlecht, Alter oder Qualifikationshöhe. Das heißt: will man KI am Arbeitsplatz gut gestalten heißt das erstmal die Arbeitssituation der Beschäftigten wirklich verstehen. Das geht am besten mit frühzeitiger Partizipation. 

Die Studie zeigt, dass Beschäftigte mehr Partizipation und Mitbestimmung bei der Einführung von KI wünschen. Wie sollte das Management dieses Bedürfnis angehen?

Ja, das war ein wirklich sehr eindeutiges Ergebnis: 74 Prozent wünschen sich mehr Mitbestimmung bei KI und 82 Prozent wollen aktiv in den Gestaltungsprozess einbezogen werden. Welche Botschaft ist das an das Management? Also, zum einen lassen sich damit ein paar Vorurteile ausräumen, die Führungskräfte oft über die eigenen Beschäftigten haben. Angenommen wird ja oft eine große Ängstlichkeit vor der neuen Technik. Oft höre ich von Führungskräften in unserer Forschung auch, dass Beschäftigte kein Interesse an Partizipation hätten. Beides mag in wenigen Einzelfällen stimmen – dann wäre es aber natürlich erste Managementaufgabe, vermeintliche Ängste nicht zu beklagen, sondern sich zu fragen: was lässt sich tun, um diese zu nehmen.

Möglicherweise sind sie die Folge bereits schlecht umgesetzter anderer Digitalisierungsprozesse im Unternehmen – diesen Zusammenhang können wir übrigens mit unseren Daten auch zeigen. Die ganz große Mehrheit aber will einbezogen werden. Dabei ist ein Dreiklang wichtig: Erstens muss echte Partizipation ganz früh im Prozess anfangen, wenn wirklich noch Einfluss genommen werden kann; zweitens müssen Beschäftigte die Chance bekommen, sich erst ins Thema einzuarbeiten und schlau zu machen, damit sie auch auf Augenhöhe mitreden können; und drittens braucht echte Partizipation Zeit, dennohne ausreichende Zeitressourcen und adäquate Entlastung vom Tagesgeschäft für die Partizipation wird diese zur Zumutung und kann nicht gelingen. Der positive Trade-Off fürs Unternehmen: je mehr Partizipation, desto besser (d.h. vor allem prognosefähiger) die KI. Eine Investition, die sich lohnt. Übrigens: Partizipation ist das eine, verfasste und lebendig gelebte Mitbestimmung das andere. Wo beides passiert, entstehen die tragfähigsten KI-Lösungen – und nur die produzieren nachhaltig auch die Produktivitätsgewinne, die damit ja intendiert sind. 

Angesichts der Herausforderungen und Chancen, die Sie in Ihrer Studie aufzeigen: Was sind die wichtigsten Schritte für KMU, um KI erfolgreich und verantwortungsvoll zu implementieren?

Neben den  schon benannten Punkten wie die konsequente Berücksichtigung der konkreten Arbeitssituationsowie die systematisch partizipative und mitbestimmte Gestaltung würde ich auch noch Folgendes mit auf den Weg geben: KI bietet tolle Tools, aber sie haben viele Grenzen – sie basieren letztlich auf stochastischen Modellen und damit gehen viele systematische Limitierungen einher. Diese muss man kennen und verstehen, sonst kann man KI nicht gut gestalten und nicht produktiv nutzen. Dazu gehören z.B. Dinge wie „falsch positive“ oder „falsch negative“ Ergebnisse,manche werden sich noch aus der Corona-Zeit an solche Begriffe erinnern. Man kann dem Ergebnis der KI nicht einfach ansehen, ob es im Einzelfall korrekt ist. Es ist eben immer nur eine Prognose mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit.

Dazu gehört auch, dass selbst eine gute gemachte KI wieder schlechter werden kann im Laufe der Zeit, weil die meisten Algorithmen die mathematische Neigung haben „in die Mitte zu tendieren“ – d.h. extremere Datenkonstellationen werden dann einfach ignoriert. Das Ganze kann damit wieder unpräziser werden. Auch damit muss man umgehen lernen im Unternehmen. Anders als Technik, die wir gewohnt sind, sieht man der KI quasi nicht so einfach an, ob sie aktuell korrekt funktioniert. Das ist der eigentliche Unterschied, nicht die vermeintliche „Intelligenz“. Also gilt, sich mit den Grenzen vertraut zu machen und erstmal sehr gut zu überlegen, in welchen Einsatzgebieten im Unternehmen diese Art von Technik wirklich sinnvoll ist oderwo  eine klassische Datenbank mit „Hard Wired“-Beziehungen und Abfragen eigentlich die bessere Variante wäre.

Wie sehen Sie die Rolle von KI in der Zukunft der Arbeit, insbesondere in Bezug auf die Veränderung von Berufsprofilen und Arbeitsbedingungen?

Die aktuellen Möglichkeiten von KI,also das was wir gerade an generativer KI auf Basis sogenannter Large Language Models sehen, sind beindruckend, aber werden sich auch nicht unendlich mit der jetzigen Geschwindigkeit weiterentwickeln. Daher bin ich mir sicher, es wird nach der aktuellen Euphorie auch wieder etwas Ernüchterung einkehren. Dann wird es Bereiche in Unternehmen geben, in denen eigenes Experimentieren und produktives Einsetzen von KI sinnvoll ist.

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Und es wird andere Bereiche geben, in denen man  Software einkaufen wird, die KI nutzt und für bestimmte Zwecke mit nachweisbarer Güte sozusagen im Paket mit einem sinnvollen Frontend anbietet- und die man eben einkauft für bestimmte, spezialisierte Zwecke. In beiden Fällen wird KI einzelne Tätigkeiten an Arbeitsplätzen ersetzen, beschleunigen oder mit gezielterer Prognosefähigkeit sozusagen „aufschlauen“.

Trotz aller Neuheit und auch Besonderheit dieser Technik: Wie wir Arbeit gestalten, für welche Formen von Arbeitsteilung wir uns im Einzelnen entscheiden, ob wir gute und ganzheitliche Arbeitsplätze gestalten oder neue Technik nur als Menschen-Ersetzungstool sehen, das ist weiterhin eine betriebliche und gesellschaftliche – also menschliche Entscheidung. Und deswegen sind Prognosen schwierig. Die Unternehmen, die auch übermorgen noch innovationsfähig sein wollen, sind immer gut beraten, wenn sie Arbeit auch in der digitalen Transformation nachhaltig, ganzheitlich und lernförderlich gestalten. Dann klappt es auch mit dem nächsten Transformationsschritt. 

Welche sozialen Veränderungen erwarten Sie durch den zunehmenden Einsatz von KI in der Arbeitswelt, und wie sollten Unternehmen darauf reagieren?

Wie gerade schon angeklungen, ließe sich diese Frage mit „Es kommt darauf an“ beantworten. Nämlich darauf, wie und zu welchem Zweck wir Arbeit,  Wirtschaft und Gesellschaft gestalten wollen. Da sitzen immer unterschiedliche Interessen am Tisch und es existieren unterschiedlich lange Hebel der Gestaltungsmöglichkeiten in unterschiedlichen Händen. Dass es unterschiedliche Sichtweisen, auch Streit und Konflikt gibt ist eigentlich ganz normal. Nur halten wir das anscheinend weniger aus als früher.

Anstatt Auseinandersetzungen auch im Unternehmen sachlich und mit Argumenten zu führen, wird oft den Beschäftigten oder Führungskräften, die bei Neuerungen zweifeln und die nicht nur „hurra“ schreien gerne vorschnell ein falsches Mindset unterstellt. Selten macht man sich die Mühe genau hinzuhören,dabei könnte man oft sehr viel für eine gute Gestaltung des Neuen lernen. Und viel zu selten macht man sich die Mühe, möglichen Einwänden mit ernstgemeinten und sachlichen Argumenten aufmerksam zu begegnen. Es geht also weniger um die Frage  „Was passiert und wie wird darauf reagiert? “, ondern um die Frage „Wo wollen wir hin, wie gestalten wir das gemeinsam und in welchen guten Formen bearbeiten wir auch die dabei naturgemäß entstehenden Konflikte?”.

In Ihrem Artikel ‚KI im Unternehmen: Herausforderungen an die betriebliche Gestaltung moderner Arbeit‘ sprechen Sie u.a. über den Faktor Mensch bzw. von „Human in the Loop“ aber auch von „Organisation in the Loop“. Wie können KMU diese Ansätze effektiv nutzen, um die Einführung von KI zu optimieren und gleichzeitig die Bedeutung menschlicher Mitarbeit zu wahren?

„Human in the Loop“ ist eine ältere Gestaltungsforderung und meint: Bei der Technikgegstaltung den Menschen nicht zu vergessen, also bspw. in dem der Arbeitsplatz lernförderlich bleibt und der Mensch fähig bleibt einzugreifen, wenn die Technik versagt. Eine richtige Forderung. Blickt man aber nur auf die Zusammenarbeit zwischen „dem“ Menschen und „der“ Technik, ist das für den betrieblichen Einsatz viel zu eng gedacht. Man muss auch die Organisation in die Gestaltungsperspektive mit hineinnehmen . Gerade bei KI wird das oft übersehen. Man überlegt z.B., wer die Entscheidungshoheit haben soll – KI oder Mensch. Es ist aber im Betrieb viel komplexer.

Wenn etwa die KI in der „Vorausschauenden Wartung“ die Instandhaltungsfachkraft warnt, dass ein teures Ersatzteil in drei Wochen kaputt geht– oder gehen könnte, denn das ist kein Faktum, sondern eine Prognose– dann telefoniert die Instandhaltungsfachkraft ja nicht einfach mit dem Hersteller der Anlage oder dieses Ersatzteils und bestellt. Sie trifft im Normalfall diese Entscheidung gar nicht. Das macht die Beschaffung. Die Beschaffung sagt dann aber eventuell: „Wir können so ein teures Ersatzteil doch nicht auf Verdacht bestellen, wer weiß, ob die KI recht behält. Wenn sie falsch liegt, haben wir zu viel Geld im Lager liegen. Dann schimpft das Controlling. Außerdem haben wir einen Wartungsvertrag mit denen und wenn wir außer der Reihe etwas wollen, wird es extra teuer.“ Welche Entscheidung dann also getroffen wird, hat mit der KI nicht mehr viel zu tun, aber dafür muss man organisationale Prozesse beim Einsatz von KI von Anfang an mitdenken und mitgestalten.

Ihre Studie zeigt, dass viele Beschäftigte sich nicht ausreichend über KI informiert fühlen. Wie können Unternehmen die Entwicklung von KI-bezogenen Kompetenzen bei ihren Mitarbeitenden fördern und welche Rolle spielt dies für den Erfolg von KI-Projekten?

Die besten Prozesse sehe ich gerade in den Unternehmen, in denen zweierlei Dinge passieren: Erstens, wenn es eine betriebliche Mitbestimmung gibt und diese sich selbst oder bei größeren Unternehmen im Rahmen einer Arbeitsgruppe systematisch anfängt zu KI weiterzubilden, um aktiv mitbestimmen zu können. Zweitens eine Managementebene, die offen damit umgeht, dass sie (wie wir alle) auch noch nicht in Gänze abschätzen kann, wohin der KI-Zug fährt.

„Die aktuellen Möglichkeiten von KI sind beindruckend… Wie wir Arbeit gestalten, für welche Formen von Arbeitsteilung wir uns entscheiden, ob wir gute und ganzheitliche Arbeitsplätze gestalten oder neue Technik nur als Menschen-Ersetzungstool sehen, das ist weiterhin eine betriebliche und gesellschaftliche – also menschliche Entscheidung.“

Und die mit dieser Offenheit Formate findet und Beschäftigte dazu auffordert, sich mit KI zu beschäftigen, erste Versuche damit im eigenen Arbeitsumfeld zu machen und im Doing die beeindruckenden Potenziale, aber eben auch die nicht zu unterschätzenden Grenzen von KI erst einmal direkt erlebbar zu machen. Daran lässt sich gemeinsam viel lernen und in kleinen Schritten voran gehen. Wenn dann noch Mitbestimmungs- und Managementseite – trotz teils unterschiedlicher Interessen und ohne blindes Ausblenden auch vorhandener Konfliktthemen – sich auch noch produktiv und wechselseitig in diesem Lernprozess befruchten, ist das der erfolgversprechendste Weg. Unternehmen, die diesen Weg gerade gehen, werden am erfolgreichsten mit KI umgehen und sich nicht nur blutige Nasen holen.

Vielen Dank, Frau Prof. Dr. Pfeiffer, für diese aufschlussreichen Einblicke. Ihr Interview hat deutlich gemacht, wie wichtig es für Unternehmen ist, die Integration von KI aktiv zu gestalten und zu verstehen.

Für Interessierte, die sich tiefer mit der Digitalisierung im Mittelstand beschäftigen möchten, bietet der umfangreiche Bericht des Mittelstand-Digital Zentrums Berlin vertiefende Einsichten und Handlungsempfehlungen. Er steht ab sofort für Sie zum Download bereit und stellt eine wertvolle Ressource für alle dar, die den digitalen Wandel im Mittelstand aktiv mitgestalten wollen.

Prof. Dr. Sabine Pfeiffer lehrt und forscht als Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik, Arbeit und Gesellschaft seit 2018 am Nuremberg Campus of Technology (NCT) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zwei ihrer aktuellen Themen sind Digitalisierung und Industrie 4.0. Weiter Informationen zu Sabine Pfeiffer finden Sie unter https://www.sabine-pfeiffer.de/

Text: Alexander Krug

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