Guten Tag Frau Onaran. Ihr Unternehmen Global Digital Woman hat zusammen mit der Europa-Universität Flensburg die Studie “Digitalisierung und Diversität in Unternehmen” herausgebracht. Davon ausgehend würden wir gerne von Ihnen wissen: Wie divers ist der deutsche Mittelstand?
Noch nicht divers genug! Diversität war lange Zeit ein negativ besetzter Begriff. Ein Thema, das schon irgendwie vorbeigehen wird. So langsam wachen die Unternehmen aber auf. Diversität hat viele verschiedene positive Effekte, ganz absehen davon, dass es uns als Gesellschaft und dazu zählen nun mal Unternehmen auch, wichtig sein sollte, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich jede:r wohlfühlt.
Konkret für Unternehmen zeigen aber viele Studien und mittlerweile unsere eigenen Erfahrungen aus über 40 Beratungsprojekten, dass es sich auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen, der Gewinnung neuer Talente und auch der Innovationsfähigkeit von Unternehmen positiv auswirkt. Es gibt also gar keinen Grund, Diversität nicht ernst zu nehmen – im Gegenteil.
“Unternehmen die jetzt nicht den Weg hin zu einem aktiven Diversitätsmanagement gehen, werden in Zukunft Wettbewerbsnachteile haben.”
Im B2C Bereich weil Kund:innen bewusste Kaufentscheidungen treffen und Nachhaltigkeit und Diversität eine große Rolle einnehmen – im B2B Bereich, weil viele Konzerne von ihren Lieferanten mittlerweile ein eigenes DEI Management (DEI steht für Diversity. Equity. Inclusion. Anm. d. Verf.) erwarten, Tendenz stark zunehmend.
Und welche Auswirkungen es aufs Image haben kann, haben sicherlich alle beim Bild der Münchner Sicherheitskonferenz mitbekommen, zeigt aber auch die jüngste Auseinandersetzung über die Frauenquote beim Unternehmen Deutz. Es ist kein Thema mehr, welches im Hinterzimmer verhandelt wird. Es ist eine gesellschaftliche Erwartung an die Unternehmen. Und leider denken noch zu viele Unternehmen, es geht schon irgendwie vorbei.
Unsere Auftaktveranstaltung Future Work steht ganz im Zeichen von New Work mit dem Schwerpunkt auf neue Arbeitswelten für den Mittelstand. Ausgehend von Ihrer Analyse: Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Denk- und Arbeitsweisen, die kleine und mittlere Unternehmen in Zukunft annehmen müssen, um diverser zu werden?
Ich denke der Begriff Equity wird entscheidend für die Zukunft sein. Hierbei geht es um die Gleichstellung der Menschen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangssituationen. Konkret gesagt: Mitarbeiter:innen haben unterschiedliche Ausgangssituationen, z.B. sind sie die ersten Akademiker:innen, haben Kinder oder auch keine Kinder, können Mental Health Probleme haben und und und. Hier ist es Aufgabe des Unternehmens nicht mit dem Prinzip Gießkanne Maßnahmen umzusetzen, sondern die Ausgangssituation der Mitarbeiter:innen zu berücksichtigen und sie gezielt zu fördern, damit sie ihr Ziel erreichen können.
Es gibt hierzu eine schöne Grafik, auf der drei unterschiedlich große Menschen über einen Zaun gucken wollen und alle die gleich große Kiste bekommen. Einer kann dadurch nicht über den Zaun schauen, während einer es auch ohne die Kiste könnte. Equity bedeutet also, der Kleinste bekommt mehr Kisten als die anderen, damit alle in der Lage sind über den Zaun zu gucken.
Bestes Beispiel, bei denen die Unternehmen Nachholbedarf haben, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Führung in Teilzeit. Beim Ersteren werde ich nicht müde zu betonen: Das betrifft Männer und Frauen und nicht nur Frauen. Beim Führen in Teilzeit erlebe ich sehr oft, dass es z.B. viele Frauen gibt, die sich Führung zutrauen, aber nur in Teilzeit arbeiten möchten. Also warum die Stelle nicht splitten und eine Tandemführung ermöglichen oder die Position so umstrukturieren, dass Teilzeit möglich ist.
“Nur weil alle eine Schulung durchlaufen, ist ein Unternehmen nicht divers.”
Diversität ist letztendlich ein Transformationsprozess und Unternehmen müssen dafür grundlegend etwas ändern. Da tun sich viele am Anfang etwas schwer, weil es bedeutet, tradierte Denkmuster im Sinne von „bisher hat es immer gut funktioniert“ abzulegen. Aber ich kann Ihnen garantieren: Es lohnt sich.
Welche konkreten ersten Schritte würden Sie diesen Unternehmen empfehlen, wenn sie mehr Diversität bei sich schaffen wollen?
Weg von den Emotionen, hin zu Daten und Fakten. Als allererstes ist es wichtig eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Wie ist unsere Mitarbeiter:innenstruktur? Was denken insbesondere unsere Mitarbeiter:innen? Wo sehen sie selbst Bedarf? So ein Prozess muss immer alle mitnehmen. Im zweiten Schritt lohnt es sich zu überlegen, welche strategischen Ziele im Bereich Diversität verfolgt werden soll. Wichtig: Nicht alles kann sofort gemacht werden und es geht um strukturelle Veränderungen, nicht um Unconscious Bias Workshops. Nur weil alle eine Schulung durchlaufen, ist ein Unternehmen nicht divers. Es geht um Strukturen, die sich verändern müssen.
Für den Erfolg ist dabei eines elementar: personelle Ressourcen und Budgets. Es ist ein Transformationsprozess und ich erlebe einfach zu oft, dass es „ehrenamtlich“ von einer Person gemacht wird, weil die sich ja immer so besonders für Diversität einsetzt. Das ist der falsche Weg. Diversität ist ein CEO Thema und es ist ein strategisch bedeutsames Thema. Als solches muss es einfach auch mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden.
Viele mittelständische Firmen sehen sich auch mit den Herausforderungen der Digitalisierung konfrontiert. In welchem Verhältnis stehen Digitalisierung und Diversität bzw. inwiefern muss beides zusammengedacht werden?
Es sind sicherlich beides die großen Themen, die unsere Gesellschaft und Wirtschaft verändern und natürlich gehören sie zusammen. Gerade bei der Digitalisierung müssen unterschiedliche Bedürfnisse und Erfahrungen einfließen. Für mich ist es ganz klar ein Wettbewerbsvorteil ein diverses Team in Digitalisierungsprozessen zu beschäftigen.
Warum? Weil einfach verschiedene Perspektiven an einem Tisch sitzen und dementsprechend viel sensibler für Probleme, Fallstricke, aber auch Lösungen sind. Und es entstehen Produkte und Dienstleistungen, die für mehr als eine Zielgruppe nützlich sind. Mein Credo ist: Ohne Diversität keine Digitalisierung.
Zu guter Letzt: Diversität gilt für Unternehmen auch als eine Möglichkeit, Fachkräfte und Talente für sich zu gewinnen. Welche weiteren Chancen können sich Unternehmen durch Diversität erschließen?
Es gibt zu viele, um jetzt alle aufzuzählen. Nur kurz: Es hat einen wesentlichen Effekt auf die Mitarbeiter:innenzufriedenheit, es steigert die Innovationskraft von Unternehmen, Studien zeigen auch, dass gemischte Teams eine höhere Wahrscheinlichkeit für höhere Profitabilität haben, es hat einen positiven Einfluss auf den Umsatz. Aber das Wichtigste: Wir erleben einen gesellschaftlichen Wandel und hier sollten Unternehmen Vorreiter sein und an einem Arbeitsumfeld arbeiten, in der Jede:r so sein darf, wie er/sie/es ist.
Frau Onaran, wir danken Ihnen für dieses Gespräch
Zur Person
Tijen Onaran ist Unternehmerin, Investorin, Bestseller-Autorin und eine der wichtigsten Meinungsmacherinnen Deutschlands, wenn es um Diversität, Sichtbarkeit und Digitalisierung geht. Sie ist Gründerin von Global Digital Women, einem international führenden Beratungsunternehmen, mit dem sie Konzerne und Mittelständler in allen Fragen rund um Diversität, Inklusion und Gleichberechtigung berät.
Sie wollen mehr zu den Themen Diversität, Digitalisierung und New Work erfahren?
Dann laden wir Sie herzlich zu unserem Online-Event FUTURE WORK. Neue Arbeitswelten für den Mittelstand am 17. März 2022 ein. Gemeinsam mit Vertreter:innen aus Politik, Unternehmen und Initiativen diskutieren wir, wie die Zukunft der Arbeit aussieht, welche Kraft in der Digitalisierung steckt und wie sich Arbeit, Unternehmen und Bedürfnisse verändern.
Das detaillierte Programm und die Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.
Wo: Online aus dem Forum Digitale Technologien, Berlin
Wann: 17. März, 10:00 – 13:00 Uhr
Wieviel: Diese Veranstaltung ist kostenlos.